Visionen für den österreichischen Luftverkehr

Quelle: Auszüge aus: Road Map Luftfahrt 2020
Herausgeber: Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Abt. II/L2, Österreich

Die österreichische Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Luftfahrtstandort zu stärken. Dazu wurde vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, in Zusammenarbeit mit den Stakeholdern der österreichischen Luftverkehrswirtschaft, eine umfassende Planungs- und Entscheidungsgrundlage für die nachhaltige Luftverkehrspolitik in den kommenden Jahren entwickelt – die Road Map Luftfahrt 2020.
Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Luftverkehrswirtschaft, die Entwicklung einer leistungsfähigen und nachhaltigen Infrastruktur sowie die Betrachtung des Luftverkehrs als Gesamtsystem wurden dabei als zentrale Ziele identifiziert. Zu deren Erreichung wurde die aktuelle Situation des österreichischen Luftverkehrs detailliert analysiert, zukünftige Visionen skizziert und anschließend ein umfassendes Maßnahmenpaket erarbeitet. Die folgenden Abschnitte stellen Auszüge aus der Road Map Luftfahrt 2020 dar und skizzieren einen Teilbereich der Visionen dieser Gesamtstrategie.

Österreichs Luftverkehr plant für die Zukunft

Für die Entwicklung des österreichischen Luftverkehrs bestehen unterschiedliche Prognosen. Während der Präsident des Österreichischen Luftfahrtverbandes von einer Verdoppelung des Luftverkehrs in 15 bis 20 Jahren ausgeht, prognostiziert der Flughafen Wien eine jährliche Wachstumsrate von 5,2 %. Die Austro Control geht bis 2020 von einem durchschnittlichen langfristigen Wachstum des Flugverkehrs im österreichischen Luftraum von ca. 4 % p. a. aus. Hierbei ist aber zu beachten, dass die nachhaltige Entwicklung des Verkehrs weiter in den Fokus rücken wird und somit mit umfassenden Beschränkungen gerechnet werden sollte. Ein jährliches Wachstum von 3 % wäre somit wohl als vorsichtig realistisch einzustufen. Für den Bereich der Business Aviation ist mit einem anhaltenden Wachstum zu rechnen.

Vision 2020

Im Folgenden werden Visionen für das Jahr 2020 dargestellt. Es handelt sich dabei um die Beschreibung der Rahmenbedingungen, welche in den kommenden Jahren erarbeitet werden sollen, um im Zieljahr der österreichischen Luftverkehrswirtschaft zur Verfügung zu stehen.

Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Durch das weitere globale Zusammenwachsen von Weltregionen, Kulturen und Wirtschaftszentren in Verbindung mit der steigenden Bedeutung bisheriger (von Zentraleuropa relativ weit entfernter) Schwellenländer ist es zu einer noch stärkeren Nachfrage nach raschen Transportmöglichkeiten für Passagiere und Fracht gekommen. Außerdem haben sich veränderte Verkehrsströme entwickelt, bei denen Regionen wie Asien, der Mittlere Osten und Südamerika immer stärker in den Fokus gerückt werden. Die Harmonisierung der EU-Politiken hat sich fortgesetzt und derzeit bestehende nationale Schutzmechanismen einzelner Staaten wurden aufgehoben.
Für die Gesamtoptimierung des Wirtschaftsstandortes Österreich, aber auch zur Stärkung der Attraktivität von Österreich als Sitz für Unternehmen und internationale Organisationen sowie von Wien als Sitz der UN wurde eine ausgebaute Anbindung des Drehkreuzes Wien an internationale Wirtschaftszentren unabdingbar. Die Regionalflughäfen sind nun immer stärkere Garanten für den wirtschaftlichen und touristischen Erfolg ihrer Regionen. Sie stellen einerseits die Verbindung der regionalen Unternehmen zur globalen Wirtschaft dar, andererseits ermöglichen sie die Weiterentwicklung des Tourismus.
Um die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu stärken, wurden die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass österreichische Luftverkehrsunternehmen gegenüber europäischen sowie nichteuropäischen Konkurrenten nicht diskriminiert werden. Gleichzeitig tragen die Unternehmen selbst auf strategischer Ebene der zunehmenden Europäisierung der Luftverkehrsmärkte Rechnung, um rechtzeitig geeignete Möglichkeiten zu entwickeln, sich optimal zu positionieren und ihre Leistungsfähigkeit und Effizienz laufend zu verbessern. Der Luftverkehr hat seine Position innerhalb der österreichischen Gesamtwirtschaft (Zahl der Beschäftigten, Ertrag, Steueraufkommen, wirtschaftliche Bedeutung etc.) weiter ausgebaut.
Der globale Luftverkehrsmarkt ist weitestgehend liberalisiert, und Europa muss aufgrund der bereits heute erkennbaren Entwicklungen (z. B. Wachstum BRIC-Staaten und Golfstaaten) um seine Rolle im Luftverkehr global kämpfen und sich wappnen, um nicht von aufstrebenden Ländern und Luftfahrtunternehmen „überflogen“ zu werden. Der österreichische Luftverkehr hat diese Entwicklungen zeitgerecht erkannt und sein Angebot (neue Destinationen, höhere Anzahl transportierter Passagiere pro Flug, Reduktion nationaler Flüge) entsprechend adaptiert. Österreich unterstützt die globale Liberalisierung generell, wenngleich im Falle von Drittstaaten, deren Liberalisierung noch nicht ausreichend weit fortgeschritten ist, auf eine reziproke Behandlung Bedacht genommen wird.
Die Rahmenbedingungen stellen sicher, dass die für Österreich wichtigen Luftverkehrsunternehmen ihre Bedeutung im internationalen Luftverkehr sowie ihre Streckennetze ausbauen können und somit die Qualität des Wirtschaftsstandortes Österreich auch garantieren. Darüber hinaus tragen Fluggesellschaften aus Drittstaaten verstärkt zur Diversifikation bei und bedienen das Streckennetz ab Österreich. Weiters wird Bedacht auf eine strenge Überwachung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Luftverkehrsunternehmen genommen. Im Bereich der Fracht wird das derzeit erkennbare starke Wachstum weiter verfolgt und ausgebaut. Auch der Bereich der Business Aviation gewinnt zunehmend an Bedeutung und verbindet Flughafenpaare, für welche keine regelmäßige Verbindung am Markt angeboten wird. Die österreichischen Verkehrsflughäfen haben individuelle Erfolgsstrategien (inklusive abgestimmter Entwicklungen zwischen Flughäfen und Flugsicherung entwickelt und kooperieren noch stärker mit ihren öffentlichen (Behörden) und privaten (Luftfahrtunternehmen, andere Flughäfen und Unternehmen) Stakeholdern, um den veränderten Gegebenheiten gerecht zu werden. Rein nationale Strategien sind überholt, und die Flughafenkooperationen, welchen österreichische Flughäfen angehören, agieren länderübergreifend und bedienen unterschiedliche Segmente parallel.

Die Lufthansa taufte am 22. 08.2011 am Flughafen Wien einen A 380 auf den Namen „Wien

Die Lufthansa taufte am 22. 08.2011 am Flughafen Wien einen A 380 auf den Namen „Wien". © FRA/CI/C Lukas Beck

Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur

Aus der gesteigerten Bedeutung des Luftverkehrs ergibt sich die Notwendigkeit, Flughäfen nicht mehr als abgeschottete und alleinstehende Verkehrsinseln zu betrachten, sondern diese Infrastrukturelemente ins Gesamtverkehrsnetz besser einzubinden. Die verstärkte Einbindung betrifft besonders die Verbindung mit hochrangigen Straßen- und Schienennetzen.
Der Hauptbahnhof Wien ist bereits fertiggestellt und voll einsatzfähig. Durch die Einbindung österreichischer Flughäfen in das europäische Hochgeschwindigkeits-Schienennetz ist das Einzugsgebiet der Flughäfen deutlich – auch über Ländergrenzen hinweg – weiter gefasst. Wie schon in der Studie „Road MapLuftfahrtfor an Austrian Aviation Policy“ erwähnt, befindet sich der Flughafen Wien in einer wirtschaftlich stark wachsenden „Global City-Region“. Grenzüberschreitende Verbindungen (z. B. zwischen Wien und Bratislava) und Abkommen zwischen den Staaten und Flughäfen werden daher systematisch und integriert entwickelt.
Die umfassende Weiterentwicklung der intermodalen Knotenpunkte führt auch zu einer Verbesserung der Dienstleistung Transport. Passagiere und Fracht können nahtlos von einem Punkt auf der Welt zu einem anderen bewegt werden, auch wenn keine direkte Flugverbindung besteht. Österreich besteht als Destination und Transportanbieter erfolgreich im Wettbewerb, da Transportleistungen besonders im Geschäftsverkehr von A nach B inklusive aller damit verbundenen Leistungen als Gesamtprodukt angeboten werden können.
Auch das Konsumverhalten der Nachfrager von Flugdienstleistungen (z. B. durch höheres Durchschnittsalter, Reisende mit besonderen Bedürfnissen etc.) hat sich verändert. Einerseits wünschen viele Reisende eine möglichst einfache, intermodal perfekt verknüpfte Reise, für deren hohe Qualität sie auch bereit sind, einen höheren Preis zu bezahlen. Andererseits werden häufig kostengünstige Verbindungen mit weniger Komfort nachgefragt.
Die geänderten Reisebedürfnisse der Bevölkerung spiegeln sich immer deutlicher in der unterschiedlichenAngebotsgestaltung der Low-Cost-Systeme und der Hub-Carrier-Systeme wider. Während Hub-Carrier-Systeme häufig eine Vielzahl an Zusatzleistungen wie Anschlussflüge und unterschiedliche Klassen anbieten, konzentrieren sich Low-Cost-Systeme stärker auf das Kernprodukt Transport von A nach B („Point-to-Point-Verkehr“). Diese unterschiedlichen Anforderungen zeigen sich auch in der Infrastrukturentwicklung der Flughäfen. Manche Transportleistungsanbieter werden auf ein erweitertes Serviceangebot dieser Infrastruktureinrichtungen setzen, während andere auf umfassende Services verzichten werden, um niedrigste Preise anbieten zu können.
Auch wenn die dritte Piste am Flughafen Wien umgesetzt ist, wird nach weiteren Möglichkeiten zur besseren Ausnutzung von gegebenen Kapazitäten gesucht. Durch konstruktive Verhandlungen mit allen beteiligten Partnern und durch lärmarme Flugver- fahren ist eine bessere Ausnutzung der gegebenen Infrastruktur möglich. Diese ist nötig, da aufgrund der Sensibilität der Bevölkerung sowie umfassender gesetzlicher Vorgaben Ausbauinitiativen der Flughäfen schwer umsetzbar sind. Darüber hinaus wird teilweise auf Regionalflughäfen ausgewichen. Als Ausweichflughäfen stehen dabei aufgrund der geografischen Nähe Linz, Graz und Bratislava zur Verfügung.
Größte Bedeutung kommt der intensiven grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei der Flugsicherung zu, da die Grenzen der Kapazität erreicht sind. Österreich spielt eine aktive Rolle im FAB CE und das SES-IIPaket ist voll implementiert. Dies macht die europäische Flugsicherung deutlich effizienter. Der Aufbau einer leistungsfähigen und effizienten nationalen Behörde (National Supervisory Authority), welche der von SES geforderten Trennung zwischen Regulation und Service Provision dient, ist abgeschlossen. An die Flugsicherung werden in den Bereichen Sicherheit, Kapazität, Effizienz und Umwelt höhere Ansprüche gestellt, jedoch stellen die einheitlichen funktionalen Luftraumblöcke (FABs) über Europa wesentliche Vorteile beim Management der An-, Ab- und Überflüge dar.
Eine umfassende Kooperation der Flughäfen Wien und Bratislava trägt zur Reduktion von Kapazitätsengpässen bei. Eine koordinierte Vorgehensweise der beiden Flughäfen ist auch für die Flugsicherung sinnvoll, um Staus in der Luft zu verhindern. Bei den Bundesländer-Flughäfen (vor allem Innsbruck und Salzburg) ist die Problematik der einheitlichen An- und Abreise an Samstagen gemindert, trotzdem wird aufgrund des höheren Aufkommens an einer verbesserten Ausnutzung der Kapazitäten gearbeitet.

Flughafen Wien

Flughafen Wien © Vienna Airport

Förderung der nationalen und internationalen Zusammenarbeit

Innerösterreichisch wird stärker auf die Zusammenarbeit der einzelnen Stakeholder gesetzt, und die Behörde hat die Rolle eines Vermittlers innerhalb dieser Partnerschaft im Luftverkehr eingenommen. Dies stärkt die Kooperation und Koordination zwischen der Behörde und der österreichischen Luftverkehrswirtschaft und ermöglicht die Koordination und Konsultation der Expertise einzelner Stakeholder in der Erarbeitung und Umsetzung behördlicher Entscheidungen. Durch seine gute geografische Lage hat Österreich international eine luftverkehrspolitische Vorreiterrolle in den Beziehungen mit Zentraleuropa, den Westbalkan- Staaten, der Russischen Föderation und dem Nahen Osten eingenommen. Österreich hat sich als „luftverkehrspolitischer Brückenkopf“ in diesen Regionen etabliert. Aufgrund der engen Beziehungen zu wirtschaftlich und kulturell vergleichbaren Ländern – wie beispielsweise Deutschland und der Schweiz – spielt die Kooperation zwischen den jeweiligen Luftfahrtbehörden eine wichtige Rolle. Darüber hinaus wird auch auf Ebene der Luftfahrtunternehmen, aufgrund gegebener Eigentumsverhältnisse mit diesen Ländern, stark kooperiert.
Im Rahmen der EU nimmt Österreich eine konstruktive Rolle ein und gilt insbesondere für seine östlichen und südöstlichen Nachbarn als gleichberechtigter Partner, der mit Expertise dazu beiträgt, die eigene und die Rolle dieser Länder in der EU zu stärken. Durch die starken Koalitionen Österreichs mit östlich gelegenen Mitgliedsstaaten können Interessen des kleinen Mitgliedsstaates in der Allianz besser gehört und vertreten werden. Österreich hat seine Präsenz und Mitarbeit in verschiedenen europäischen Gremien ausgebaut und gezielt Experten platziert. ABIS (Rotationsgruppe), das mittlerweile seine Mitgliedschaft erweitert hat, spielt weiterhin eine wichtige Rolle in der Koordination in der ICAO.

Die A320 der Nicki Air.

Die A320 der Nicki Air. © Nicki Air

Ausbau der technologischen Kompetenzen

Die österreichische Luftfahrtforschungslandschaft unterstützt mit ihren technologischen Kompetenzen die kommenden infrastrukturellen Anforderungen wie die Reduktion der Flugunfallrate, der Wartezeiten am Gate, der Flugverspätungen und des Fluglärms sowie die Deckung des steigenden und individualisierten Mobilitätsbedarf der Luftverkehrswirtschaft.
Dies gilt besonders für folgende Bereiche, in denen bereits Forschungen im Gang sind:
• Optimierung des Rollmanagements am Vorfeld
• Breitband-Mehrfachträger-Kommunikationssystem
• zukünftige aeronautische Kommunikationstechnologie
• digitale Bildverarbeitung für Meteorologie-Services
• Optimierung der Aus- und Weiterbildung von Flugverkehrsleiterinnen und 
  -leitern durch E-Learning
• Assistenzsysteme im Cockpit für Privatpilotinnen und -piloten zur Vermeidung
  von Flugunfällen
• Entwicklung von Lernmanagementprozessen der Pilotinnen und Piloten
• Blickfeldanalysen von Flugverkehrsleiterinnen und -leitern
• Collaborative Decision Making
• passagierzentriertes Airport Operation Management
• Untersuchung der Transportwahl der Passagiere am und zum Flughafen
• Bereitstellung eines kompletten operationellen Lagebildes aller Bewegungen
  am Flughafen
• Luftfahrtpsychologie
Während die Luftverkehrswirtschaft im Rahmen des SESAR-Programms den Bedarf nach einer Aktualisierung ihrer bestehenden Anwendungen und Produkte vermehrt zu verspüren bekommt, kann die österreichische Luftfahrtindustrie die in diesem Bereich nötigen Abwendungs- und Produktinnovationen bereits jetzt liefern. Erleichterungen für das Luftverkehrsmanagement wurden auch durch die Umsetzung der satellitengestützten Navigationssysteme (GALILEO, EGNOS) erreicht, die die Anflugsysteme vereinfachen und sicherer gestalten.

Das vollständige Dokument der Road Map Luftfahrt 2020 ist zu finden unter:
http://www.bmvit.gv.at/verkehr/luftfahrt/roadmap/index.html

Zukünftige Umsetzung der Road Map Luftfahrt 2020

Diese anspruchsvollen Ziele, welche Österreich als Teil seiner Vision für die Zukunft seiner Luftverkehrswirtschaft im Rahmen der Road Map Luftfahrt 2020 definiert hat, gestatten vorausschauendes, konsistentes und kohärentes Handeln aller Beteiligten. Die einzelnen Maßnahmen werden hierzu in den kommenden Jahren gemeinsam präzisiert und durchgeführt.

Aus dem REUSS Jahrbuch der Luft- und Raumfahrt Ausgabe 2012