Kometenlandung mit Hindernissen

Die gute Nachricht: Der Lander Philae hatte tatsächlich auf der Oberfläche des Kometen aufgesetzt. Die weniger gute allerdings besagte, dass die Harpune für die Verankerung nicht ausgelöst worden war. Dennoch waren die Wissenschaftler zuversichtlich.
Tschurjumow-Gerassimenko – man muss schon eine Weile üben, bis man den Namen des Kometen fehlerfrei aussprechen kann. Aus diesem Grunde auch hat sich schnell die Kurzform „Tschuri“ eingebürgert, und seit dem Meisterstück der europäischen Wissenschaftler und Ingenieure, auf der stark zerklüfteten Oberfläche dieses unförmigen Himmelskörpers eine kleine Landesonde abzusetzen, kennt fast jeder diesen Brocken aus Dreck und Eis.
Dass es überhaupt möglich ist, einen Kometen in den Tiefen des Alls aufzuspüren und eine Raumsonde in eine Umlaufbahn um die schlingernde „Quietscheente“ zu zwingen (tatsächlich ähnelt der Komet einem solchen Badewannenspielzeug), grenzt für den Normalbürger schon an ein Wunder. Immerhin ist der Weltall-Vagabund ziemlich dunkel, fast schwarz, und die Bilder bedurften umfangreicher Bildbearbeitung, um überhaupt Strukturen kenntlich zu machen.
Als dann aber am 12. November 2014 die Raumsonde Rosetta das kleine, nur 100 kg schwere Wissenschaftslabor Philae freigab und dieses sich langsam auf die Oberfläche von Tschuri hinabsenkte, war die Stimmung im Kölner Kontrollzentrum zum Zerreißen gespannt. Immerhin konnten die dort sitzenden Experten nichts tun als zu warten, denn der Ort des Geschehens war viel zu weit entfernt für ein mögliches Eingreifen. Also blieb nur nervöses Warten, denn für den 22,5 Kilometer langen Abstieg brauchte Philae sieben endlose Stunden.
Dann endlich befreiender Jubel: Der Lander hatte tatsächlich aufgesetzt! Damit hatten europäische Ingenieure und Wissenschaftler etwas vollbracht, was noch nie zuvor Menschen gelungen war, und dennoch – irgendetwas stimmte nicht. Bange Minuten später wurde klar, dass die Harpune nicht gezündet hatte. Stand der Lander nun auf der Oberfläche oder nicht? Nein, ergab nach einer Weile die Auswertung aller Daten, anhand derer der weitere dramatische Ablauf der Landermission rekonstruiert werden konnte. Was war geschehen?
Philae war nach dem ersten Kontakt abgeprallt und flog mit 38 Zentimetern pro Sekunde in hohem Bogen zurück ins All. Erste Erkenntnis: „Die Oberfläche kann nicht besonders weich sein, sonst hätte der Lander keinen so großen Hüpfer gemacht“, so Dr. Ekkehard Kührt vom DLR. Nach knapp zwei Stunden kehrte Philae zurück, was angesichts der geringen Schwerkraft von Tschuri nicht gerade zu erwarten gewesen wäre. Noch einmal folgte ein Hüpfer, der dieses Mal acht Minuten dauerte, doch dann endlich entschloss sich Philae zu bleiben, ja, sogar sein vorprogrammiertes Arbeitsprogramm zu realisieren.
Der endgültige Landeplatz war zuerst gar nicht bekannt und ist nach den jüngsten Daten nicht gerade ideal zu nennen. Zweite Erkenntnis: „Die Daten zeigen die Bewegung von Philae, und wir sehen deutlich, dass er nach den ersten beiden Landungen ins Taumeln geriet und sich um die eigene Achse drehte“, sagte Hans Ulrich Auster von der TU Braunschweig.
Zum Erstaunen aller liefen nun nach und nach weitere Daten ein, die darauf hinwiesen, dass die Bordinstrumente von Philae genau in der vorgeschriebenen Reihenfolge ihre Aufgaben erfüllten. Jetzt galt es, rasch zu handeln. Die Spezialisten der Bodenkontrolle modifizierten unverzüglich die Software, denn eines war deutlich geworden: Am jetzigen Landeplatz erhielten die Solarzellenflächen nicht genug Sonnenlicht, weshalb die Arbeitsphase ziemlich kurz ausfallen würde.
Am 13. August 2015 hatte Tschuri den sonnennächsten Punkt seiner Bahn, das sogenannte Perihel, erreicht. Fortan bewegt er sich wieder weg in die äußeren Bereiche unseres Sonnensystems, und es wird rund sechseinhalb Jahre dauern, bevor er der Sonne wieder nahe kommt. Doch Nähe ist ein relativer Begriff. Immerhin liegt das Perihel mit einem Abstand von mehr als 185 Millionen Kilometern noch weit hinter der Erdbahn. Dennoch wurde es zu diesem Zeitpunkt auf der Kometenoberfläche heißer als auf der Erde, denn der kosmische Vagabund hat wegen seiner fast schwarzen Färbung nur eine geringe Rückstrahlung, und eine Atmosphäre besitzt er auch nicht.
Nun sollte man als Laie annehmen, dass solch ein Komet in der Nähe der Sonne eine voluminöse Koma samt beeindruckendem Schweif ausbildet, aber – weder, noch. Was unterscheidet also Tschuri von anderen Kometen, die uns ansonsten am Himmel begeistern? „Wir müssen vor allem den größeren Abstand berücksichtigen“, sagt Dr. Ekkehard Kührt, als Abteilungsleiter beim DLR-Institut für Planetenforschung zuständig für Asteroiden und Kometen. „Die Aktivität eines Kometen hängt sehr stark vom Sonnenabstand ab, und dieser Klumpen aus Eis und Staub ist so weit weg, dass man ihn mit bloßem Auge von der Erde aus gar nicht sehen kann.“ Anders als beim berühmten Halleyschen Kometen also dampft und gast Tschuri eher im Dunkeln, und außerdem ist er viel kleiner als Halley.
Ganz untätig ist der Komet indessen nicht. Immer wieder schießen aus dem Untergrund helle Staubund Gasfontänen, sogenannte Jets, hervor. „Wir müssen zum derzeitigen Zeitpunkt zugeben, dass wir dafür noch keine befriedigende wissenschaftliche Erklärung haben“, sagt Dr. Kührt, „nur Spekulationen über die möglichen Ursachen. Ich bin aber optimistisch, dass wir Antworten finden werden.“
Die Experten sind gerade dabei, die Messergebnisse aller wissenschaftlichen Geräte zu einem Gesamtmodell zusammen zu führen, und das kann noch Monate dauern. Da ist es von Vorteil, dass die finanziellen Mittel für die Forschungsarbeit bis 2018 reichen und Rosetta zudem sehr sparsam mit dem Treibstoff des Bordtriebwerkes umgegangen ist. Ergebnis: Die Mission konnte um weitere neun Monate verlängert werden. Wenn der Komet also schon längst wieder weit weg ist, wird die Raumsonde noch immer Daten zur Erde schicken und das Bild der eisigen „Ente“ vervollständigen.
Bis dahin ist allerdings noch etwas Zeit. Im August 2015 erreichten die Oberflächentemperaturen des kosmischen Vagabunden, zumindest im Süden, rund 80 Grad Celsius! Zum Vergleich: Der Hitzerekord auf der Erde wurde im amerikanischen Death Valley mit 56,7 Grad gemessen.
Diese Erwärmung des dunklen Körpers, dessen Oberfläche vor allem mit Staub und Schutt bedeckt ist, sorgt für einen kräftigen Masseverlust, der mit einigen Hundert Kilogramm pro Sekunde geschätzt wird. Das klingt sehr viel, ist es aber eigentlich gar nicht, wenn man sich einmal die Größe des Kometen vor Augen führt. Die Verluste entstehen in Folge des Verdampfens des Eises, und die dabei entstehenden Jets reißen eine Menge Staub mit sich. Diese Ausbrüche können so heftig sein, dass sie sogar den auf den Kometen auftreffenden Sonnenwind für einige Minuten zurück drängen. Analysen solcher „Geysire“ zeigten große Anteile an Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan und Schwefelwasserstoff, kurz gesagt: Der Komet stinkt gewaltig!
Als Rosetta Tschuri erreichte, war dieser in rund 500 Millionen Kilometern Entfernung von der Sonne praktisch nicht aktiv. Die nachfolgende Entwicklung versetzte die Wissenschaftler erstmals in die Lage, das „Erwachen“ eines Kometen, seine Aktivität und schließlich den langsamen Übergang zurück zur Ruhephase hautnah zu verfolgen. Ekkehard Kührt jedenfalls geht davon aus, dass die Ausstöße von Gasen und Materie noch eine ganze Weile anhalten werden, zumindest konnte man das bei früheren Periheldurchgängen des Himmelskörpers von der Erde aus beobachten.
Die Staubgeysire machen es der Raumsonde und ihren Instrumenten nicht gerade leicht, ihre Aufgaben zu erfüllen, geschweige denn näher an Tschuri heranzufliegen. Mindestens 300 Kilometer Sicherheitsabstand braucht der Flugkörper, damit die winzigen Teilchen nicht die Sternsensoren verwirren und daraus resultierend Probleme bei der Navigation verursachen. Manche der Messinstrumente brauchen sogar größere Entfernungen, um ein Gesamtbild zu erzielen, während man die Kameras natürlich so nahe wie möglich an die Oberfläche heranführen würde. Die Sicherheit lässt das jedoch nicht zu, wie die Erfahrungen der Giotto-Sonde zeigten.
Noch in der Anflugphase, genauer gesagt rund sieben Sekunden vor der größten Annäherung an den Halleyschen Kometen, geriet Giotto in ein derart starkes Teilchenbombardement, dass die Kamera und andere Bordinstrumente unverzüglich zerstört wurden – und das, obwohl die Sonde mit ihrem Schutzschild voran flog. Ein solches Szenario wollte sich Dr. Kührt lieber nicht ausmalen, wo man doch schon so nahe dran war am Untersuchungsobjekt.
Nicht aufgegeben haben die Wissenschaftler indessen die Hoffnung, noch einmal Funkkontakt zum Lander Philae aufnehmen zu können. Der war nicht dort niedergegangen, wo er sollte, und hüllte sich zunächst in Schweigen. Mit zunehmender Annäherung an die Sonne hoffte man auf eine Erhöhung der Innentemperatur, worauf sich das Landegerät von selbst melden sollte. Das tat es dann auch, aber leider nur kurz. Jetzt konzentrierten sich die Experten schweren Herzens auf die Arbeit der Sondeninstrumente, doch die fand nun einmal über der Zone der stärksten Aktivitäten auf der südlichen Hemisphäre statt. Das war nun allerdings die entgegengesetzte Richtung des vermuteten Philae-Landepunktes, und vor Mitte August gab es keine Chance für einen erneuten Versuch der Kontaktaufnahme.
Wenigstens besteht die Möglichkeit, dass Philae heimlich, still und leise die ihm zugewiesenen Messungen direkt auf der Kometenoberfläche durchgeführt hat und ihm bislang nur die Gelegenheit fehlte, die gesammelten Daten an die Relaisstation Rosetta und von da aus zur Erde zu übertragen. Vielleicht geschieht ja noch ein Wunder und plötzlich treffen ganze Datenströme vom Lander ein.
Eines ist allerdings sicher: Philae steht irgendwo tief im Schatten, so dass es ihm selbst bei der größten Annäherung des Kometen an die Sonne nicht zu warm werden konnte. Er ist darauf ausgelegt, selbst bei Außentemperaturen von 50 Grad noch zu funktionieren, und wenn auch anderswo 80 Grad erreicht wurden, so war Philae doch gut gekühlt. Wenn sich also die Sonde nach dem Abklingen der Kometenaktivitäten, wenn er also keine Jets mehr abfeuert, wieder der Oberfläche nähert, könnten Wiedersehenstelefonate zwischen den beiden durchaus möglich sein.