Familienkrach bei der ESA

Ob die Ariane 6 tatsächlich so aussehen wird, muss der Ministerrat entscheiden.  Foto:ESA

Ob die Ariane 6 tatsächlich so aussehen wird, muss der Ministerrat entscheiden. Foto:ESA

Etwa alle zwei Jahre tagt der ESA-Ministerrat und debattiert über die nächsten Vorhaben der europäischen Raumfahrtorganisation: Wer macht was, wie viel Geld kommt von den Mitgliedstaaten und vor allem – wer bekommt wie viel?
Es geht gar nicht darum, wer in Europas Raumfahrt die Führungsrolle innehat oder neu übernehmen wird, denn die ESA verfolgt eine gemeinsame europäische Raumfahrtpolitik – zumindest sollte sie das tun. Mit schöner Regelmäßigkeit beginnen schon weit vorher die öffentlichen Diskussionen über die künftige Ausrichtung der Organisation und über die Realisierung der Großprojekte. Politiker, Industrievertreter und Raumfahrtmanager versuchen schon vorab, die künftigen Entscheidungen des Rates zu beeinflussen, wobei der Umgangston dabei gern schon einmal etwas rauer wird.
Die Ursache ist, wie in jeder Familie hin und wieder auch, immer die gleiche, nämlich der Streit ums liebe Geld. Es geht um die Systemführerschaft bei Raketen, Satelliten und Forschungsprogrammen, um das Prestige natürlich und um Arbeitsplätze bei der heimischen Industrie. Die ESA bekommt nämlich von jedem Mitgliedstaat einen finanziellen Anteil, der sich aus dem jeweiligen Bruttosozialprodukt ableitet, und aus diesem Topf wird das sogenannte Pflichtprogramm finanziert, also die Großprogramme beispielsweise, die Grundlagenforschung oder auch die administrativen Kosten. Welche der jeweiligen Kategorien wie viel aus dem Gesamtetat bekommt, legt der Ministerrat fest, und dabei einen Konsens zu finden, ist nicht immer ganz einfach.
Etwas einfacher geht die Realisierung des freiwilligen Programms vonstatten, der „Kür“ sozusagen, denn die wird nur von jenen Ländern finanziert, welche sich spezielle wissenschaftliche Erkenntnisse oder ganz einfach mehr Profit für ihre Industrie versprechen. Ein typisches Beispiel dafür ist die kleine Trägerrakete VEGA, deren Entwicklung vor allem von Frankreich und Italien vorangetrieben wurde. Zu guter Letzt gibt es noch mehr oder weniger umfangreiche nationale Raumfahrtprogramme, die von einzelnen Ländern aus den unterschiedlichsten Gründen verfolgt werden.
Die eingezahlten Anteile sind naturgemäß unterschiedlich groß, und die größten Beitragszahler sind Deutschland, Frankreich und Italien. In diesen Ländern sind auch die größten und bedeutendsten Forschungseinrichtungen und Industrieunternehmen der Branche beheimatet, was natürlich bedeutet, dass sie auch die meisten finanziellen Mittel aus dem ESA-Topf erhalten.
Für Verteilungsgerechtigkeit sorgt indessen das sogenannte „Rückflussprinzip“, welches dafür sorgt, dass jedes Mitgliedsland etwa so viele Anteile bekommt, wie es vorher an die ESA überwiesen hat. Nicht jeder kleinere Staat baut allerdings Satelliten oder hochwertige Bordgeräte, aber es werden auch Transportcontainer oder Montagevorrichtungen benötigt, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Bei den Großen aber geht es um viel mehr, und die Auseinandersetzungen sind schon Tradition seit der ESA-Gründung. Fast schon legendär sind die deutsch-französischen Streitigkeiten über die Arbeits- und Finanzanteile an der Ariane-Rakete einerseits und dem Spacelab andererseits, und schon damals bedurfte es einer ganzen Menge an Diplomatie, bis sich zum Schluss doch alle Beteiligten einig waren.
Auch im Jahr 2014 geht es wieder um viel, denn allein für das Rahmenprogramm für Forschung und Innovation „Horizon 2020“ mit einer Laufzeit bis 2020 steht ein Gesamtbudget von 80 Milliarden Euro zur Verfügung. Dabei wartet die Industrie besonders gespannt auf die Entscheidung über die Zukunft der Ariane 5 und deren Nachfolgemuster Ariane 6. Erstere ist eigentlich zu groß und kann, gerade für kommerzielle Starts, nur mit zwei Satelliten an Bord fliegen. Jeweils zwei passende Flugkörper für einen bestimmten Termin zu finden, ist nicht gerade einfach, und wenn einer wegen technischer Probleme am Boden bleiben muss, hat der andere Kunde das Nachsehen und steht auf der Warteliste.
Für die Ariane 6 haben sich wieder Frankreich und Italien zusammengeschlossen und wollen unbedingt eine Feststoffrakete durchsetzen, was vor allem mit niedrigeren Kosten begründet wird. Angesichts der Konkurrenz von SpaceX ist das sicher nicht ganz unbegründet, aber in Deutschland fürchtet man den Verlust der Oberstufenkompetenz. DLR-Chef Jan Wörner setzt sich deswegen vehement für eine Raketenfamilie aus dem Baukasten ein, die man der jeweiligen Mission anpassen könnte und ebenfalls die Kosten drastisch verringern würde.
Der Krach geht so weit, dass zeitweilig auf beiden Seiten Funkstille herrscht und Franzosen und Italiener ihre Beteiligung an Columbus in Frage stellen. Damit würde sich Frankreich aber ins eigene Fleisch schneiden, denn 2016 soll der französische Astronaut Thomas Pesquet zur ISS fliegen, aber – ohne Columbus keine Mission. Der Zank füllte jedenfalls das Sommerloch, doch bis zur Ministerratskonferenz sind Kompromisse wieder sicher.
Viel Lärm um nichts also? Nein, eher Rangeleien um die Hackordnung bei der ESA.