Ein Zählwerk für die Sterne

Der neueste ESA-Astronomiesatellit GAIA hat ein anspruchsvolles Arbeitspensum vor sich, denn er soll eine Milliarde Sterne in unserer Milchstraße zählen – und noch einiges mehr.
Fünf Jahre soll die geplante Arbeitszeit des Satelliten dauern, 70Mal wird in dieser Zeit jeder einzelne Stern beobachtet und seine Position vermessen. Aus den Entfernungen, den Bewegungen und der Änderung der Helligkeit der Himmelskörper wollen Astronomen anschließend die bislang präziseste dreidimensionale Karte der Galaxis erstellen.
Als wäre das noch nicht genug, erwartet man die Entdeckung zahlreicher neuer Objekte, wie rund 30.000 extrasolarer Planeten, 50.000 brauner Zwerge, die es in ihrer Entwicklung nie zum echten Stern geschafft haben, hunderttausender Weißer Zwerge, 20.000 Supernovae, hunderttausender Quasare (weit entfernte Galaxien) sowie bis zu einer Million Asteroiden und Kometen allein in unserem Sonnensystem.
Anfangs stand GAIA für „Globales Astrometrisches Interferometer für die Astrophysik“, weil nach der ursprünglichen Planung die Beobachtungen mittels optischer Interferometrie erfolgen sollten. Selbst nachdem das Beobachtungsprinzip inzwischen ein anderes geworden ist, blieb man bei diesem Akronym, das zugleich für den Namen der Urmutter und Erdgöttin in der griechischen und römischen Mythologie steht.
All die umfangreichen Aufgaben wird der nur drei mal zwei Meter große und etwa 2.030 Kilogramm schwere Satellit mit einem einzigen integrierten Instrument erfüllen, das drei Hauptfunktionen in sich vereinigt: Astrometrie (Messung und Berechnung von Gestirnspositionen), Fotometrie (Messungen ultravioletten und sichtbaren Lichts in verschiedenen Wellenlängen) sowie Spektrometrie (Zerlegung der einfallenden Strahlung in Energie und Untersuchung deren Spektrums).
Nach dem Start an Bord einer Sojus-Rakete vom europäischen Raumfahrtstartgelände Kourou aus wird die Fregat-Oberstufe GAIA auf ihre Bahn zu jener Position bringen, von der aus sie ihre Beobachtungen am besten durchführen kann: zum sogenannten Lagrange-Punkt 2. Fünf solcher spezieller Punkte gibt es um jeden der Planeten unseres Sonnensystems, als Gleichgewichtspositionen innerhalb der Himmelsmechanik, auf denen sich die Schwerkräfte von Erde, Sonne und Satellit gegenseitig vollständig aufheben, so dass alle drei kräftefrei sind.
Benannt wurden diese Positionen nach dem italienischen Astronomen und Mathematiker Giuseppe Luigi Lagrancia, heute besser bekannt als Joseph-Louis Lagrange, der sie erstmals berechnete und als Librationspunkte bezeichnete, nach dem italienischen Wort „librare – das Gleichgewicht halten“.  L2 ist deshalb interessant für astronomische Beobachtungen, weil er dank der gleichgerichteten Kräfte von Sonne und Erde stets in direkter Verlängerung der Verbindungslinie beider außerhalb der Erdbahn liegt (rund 1,6 Millionen Kilometer von uns entfernt) und dort der Satellit relativ einfach vor der störenden Sonnenstrahlung geschützt werden kann.
Also eigentlich im Erdschatten liegend, verfügt GAIA dennoch über eine ausgeklügelte Strahlungsabschirmung, bestehend aus zwölf Streben, die nach Erreichen des Zielpunktes ausgeklappt werden und zwischen sich 48 Folien aufspannen. Diese wiederum bilden dann einen rund elf Meter durchmessenden Kreis, der in Richtung Sonne mit Solarzellenflächen für die Energieversorgung belegt ist.
Insgesamt 1.720 Watt elektrischer Leistung werden von diesen produziert, wovon 830 Watt an die wissenschaftlichen Instrumente geleitet werden. Von der Sonne weg gerichtet, sorgt schließlich der Schild dafür, dass an Bord des Instrumentenmoduls stets eine gleich bleibende Temperatur von etwa minus 110 Grad Celsius herrscht.
Die Beobachtungen werden dadurch ausgeführt, dass GAIA langsam um die Längsachse rotiert und durch eine rechteckige Öffnung das Licht auf zwei um 106,5 Grad getrennte Spiegel fällt, welche wiederum die Informationen auf ein einen mal einen halben Meter großes CCD-Feld mit 106 Sensoren lenken (Charge-coupled Device – lichtempfindliche Bauelemente). 62 davon dienen der Astrometrie, 28 der Fotometrie und zwölf der Spektroskopie. Der Rest ist für die Qualitätskontrolle verantwortlich.
Während der fünfjährigen Lebensdauer erwartet die Flugkontrolle beim ESOC in Darmstadt Datenmengen von einigen hundert Terabytes; die gesamte Datenbibliothek wird schließlich ein Petabyte umfassen, was rund 4.000 herkömmlichen 250-GB-DVDs entspricht.
Wozu aber dient nun dieser gewaltige Aufwand? Nun, die Wissenschaftler wollen mehr über den Ursprung und die Entwicklung unserer eigenen Galaxie erfahren, über die Geburt von Sternen und die Verteilung ihrer Materie, wenn sie wieder sterben. Sie wollen mehr erfahren über den inneren Aufbau und die „Lebensläufe“ von Sternen und zu guter Letzt noch die Newtonsche Gravitationskonstante mit bislang unerreichter Genauigkeit bestimmen.
All das ist Grundlagenforschung im ursprünglichsten Wortsinne. Aus all dem können wir Erkenntnisse über unser eigenes Sonnensystem ableiten. Warum also diese ständige Suche nach neuen Erkenntnissen? Weil der Mensch neugierig ist, ganz einfach.

Fünf Jahre lang wird GAIA rund eine Milliarde Sterne in unserer Milchstraße zählen. Foto: ESA

Fünf Jahre lang wird GAIA rund eine Milliarde Sterne in unserer Milchstraße zählen. Foto:ESA