Ein Dynamo im Erdinnern

Mit dem Start der SWARM-Satelliten begann die fünfte Mission im Rahmen des ESA-Programms „Living Planet“. Vier Jahre lang sollen die drei Flugkörper das Erdmagnetfeld und seine zeitlichen Veränderungen hochgenau vermessen.
Drei Monate nahmen sich die Projektwissenschaftler Zeit für die sogenannte Dekommissionierungsphase nach dem Start des Satellitentrios SWARM am 22. Oktober 2013, drei Monate, in denen alle Beteiligten ungeduldig auf erste Messergebnisse warteten. Wenn diese aber die erwünschte Genauigkeit aufweisen sollten, musste man das komplizierte Prozedere der Inbetriebnahme aller Bordsysteme und der Instrumente genauestens befolgen. Dem ersten Funkkontakt nach dem Aussetzen der Satelliten aus der Nutzlastspitze der Rockot-Trägerrakete folgte das Ausklappen der langen Arme mit den Messgeräten, schon die erste kritische Phase der Mission, denn die hochempfindlichen Magnetometer und Sternsensoren hätten beim Start oder der Freigabe aus dem Satelliten-Dispenser Schaden nehmen können. Ein erstes Aufatmen zeigte, dass nichts passiert war.
Als die Satelliten am 3. Dezember 2013 die ESA-Bodenstation im schwedischen Kiruna überquerten, wurden per Funkbefehl alle Bordinstrumente eingeschaltet. An der Spitze des Messauslegers eines jeden Raumflugkörpers befindet sich ein Magnetometer, ein Gerät zur Messung der Stärke des Magnetfeldes. Je ein Vektormagnetometer zur Ermittlung der Magnetfeldrichtung und eine Kombination dreier Sternkameras für die Raum orientierung sind in der Mitte des Auslegers installiert. Schließlich gibt es noch ein Akzelerometer zur Messung der auf den Satelliten wirkenden Beschleunigungskräfte und ein elektrisches Feldinstrument, mit dem die Ionenbewegung in der Hochatmosphäre sowie Dichte und Temperatur des Umgebungsplasmas ermittelt werden.
Wichtig ist auch ein GPS-Empfänger zur Ableitung der Position und der genauen Zeit für die wissenschaftliche Interpretation der Messdaten, und zu guter Letzt verfügt jeder der Flugkörper über ein spezielles Spiegelsystem an der Unterseite, mit dem vom Boden ausgesandte Laserimpulse reflektiert werden. So können die Satellitenbahnen genauestens vermessen werden. Diese Laserreflektoren stammen vom GeoForschungsZentrum in Potsdam, und schon bei den ersten Versuchen zur Abstandsmessung gab es nur äußerst geringe Abweichungen von acht Millimetern. Alle diese Geräte wurden erfolgreich in Betrieb genommen. Die Geräte zur Messung der elektrischen Feldstärke mussten allerdings erst komplett ausgasen, was etwas mehr Zeit in Anspruch nahm. Entsprechend wurde die benötigte Hochspannung erst später eingeschaltet.
Bis Ende Februar 2014 dauerte es, alle Systeme zu kalibrieren und die Messinstrumente fein zu justieren. Dann endlich begann die praktische Arbeit der am Projekt beteiligten Wissenschaftler: In den nächsten vier Jahren werden sie mit Hilfe der Satelliten das Magnetfeld der Erde und seine zeitlichen Veränderungen auf das Genaueste vermessen, und nicht nur das: Selbst die einzelnen Quellen des Magnetfeldes, wie Kernfeld, Krustenfeld, die Stromsysteme in der Ionosphäre und Magnetosphäre und schließlich die ozeanischen Strömungen sollen separat modelliert werden.
Die drei baugleichen, jeweils 500 Kilogramm schweren Satelliten umkreisen die Erde auf Polarbahnen in Höhen zwischen 450 und 550 Kilometern und sollen von hier aus Messdaten liefern, mit denen die Wissenschaftler die grundlegende Frage beantworten können, wieso unser kleiner Planet eigentlich ein solch starkes Magnetfeld hat.
Dieses beschützt alles Leben auf der Erde vor der solaren und der kosmischen Teilchenstrahlung, wird aber seit Jahren schwächer – um acht Prozent in den vergangenen 150 Jahren, im Südatlantik sogar in gewissen Regionen um bis zu zwölf Prozent. Was sind die Ursachen dafür, und werden wir, statistisch gesehen, in 1.600 Jahren gar kein Magnetfeld mehr haben?
Über die Entstehung des Magnetfeldes ist man sich so ziemlich einig: Der aus Eisen und Nickel bestehende Erdkern dreht sich mit dem äußeren flüssigen Kern, und dieser Dynamo erzeugt ein zweipoliges, magnetisches Feld, das die Erde mit einer weit in den Weltraum reichenden schützenden Hülle umgibt. Diese ist allerdings nicht besonders stabil, sondern wird vom mehr oder stärker wehenden Sonnenwind unterschiedlich verformt. Zurzeit ist ein Maximum der Sonnenaktivität zu beobachten, genau das richtige Umfeld für die Messungen des SWARMs.
Gleichzeitig wollen die Experten wissen, warum sich der Nordpol stetig in nordwestlicher Richtung verschiebt, und das mit rund 50 Kilometern pro Jahr. Das wäre nicht ganz so schlimm, weil wir dank der Satellitennavigation nicht mehr auf Magnetkompasse angewiesen sind. In der langen Geschichte der Erde hat es bereits mehrfach derartige Umpolungen gegeben, und vielleicht dreht sich ein Teil des Dynamos bereits verkehrt herum. Wichtig sind die zu erwartenden Erkenntnisse aber auch in wirtschaftlicher Hinsicht, denn der Strom aus solaren Teilchen kann, wenn er den magnetischen Schutzschild durchbricht, erhebliche Schäden in Überlandleitungen und elektronischen Datensystemen verursachen. Eine aus den Messergebnissen abgeleitete Vorhersage solcher Schwankungen könnte helfen, Milliardenschäden zu vermeiden.
Zwei der Satelliten fliegen dicht beieinander in Formation, der dritte höher auf einer versetzten Bahn. So will man „Löcher“ in der Ionosphäre vermessen, die zu Störungen des Funkverkehrs führen. Noch ist das Magnetfeld wie ein weißer Fleck auf der Erdkarte, aber mit Hilfe des SWARMs könnten Wissenschaftler diesen bald mit neuem Wissen ausfüllen.

Die SWARM-Satelliten vermessen das Erdmagnetfeld und seine zeitlichen Veränderungen. Foto:ESA

Die SWARM-Satelliten vermessen das Erdmagnetfeld und seine zeitlichen Veränderungen. Foto:ESA